Tagarchief: Österreich

Verstand auf null, Blick auf unendlich

Ich weiß jetzt, was los ist. Es hat mich lange beschäftigt und ich habe noch länger darüber nachgedacht, aber Österreich ist eingeschlossen von acht Ländern!

Okay, höre ich Sie sagen… und weiter?

Nun, Wasser ist kein Land. Und ich möchte über Wasser sprechen. Wasser ist, als ob man sich – zumindest an einer oder einigen Landesgrenzen – ausdehnt zu etwas, das weiter ist, größer als man selbst. An der belgischen Küste gibt es keine Grenze, fühlt sich der Mensch nicht eingeschlossen. Und das ist noch Peanuts im Vergleich zum Norden, Westen und Süden Frankreichs, sogar Deutschland und vor allem Spanien und Portugal, Italien und Griechenland kennen das gewaltige Gefühl des unbegrenzten Schauens. ‚Uneingeschlossenheit’. Sie haben weniger Nachbarn und einen weiteren Blick. Ins Unendliche.

Für die Österreicher sieht das doch etwas anders aus. Und es bestimmt meiner Meinung nach in großem Ausmaß ihre Mentalität. Mit so vielen Ländern rundherum entsteht vielleicht die Neigung zu Xenophobie? Wie tief verwurzelt ist die Angst, eines schönen Morgens aufzuwachen und acht andere Völker vor deiner Tür stehen zu sehen? Mit dieser Bedrohung kann der Österreicher nicht umgehen, selbst wenn er weiß, dass dies nicht geschehen wird… Es könnte geschehen, und das genügt für meine neuen Landsleute, noch stärker die Abgeschlossenheit ihres eigenen Hauses, ihres Dorfes oder ihrer Gemeinschaft zu suchen. Noch mehr in sich selbst gekehrt auf den Rest der Welt zu blicken, den sie eigentlich nicht sehen wollen.

Wer kein Meer hat, nennt wie der Wiener seinen See ‚Meer‘, und blickt von Ufer zu Ufer. Weiter geht es nicht. Wie schön der eingeschränkte Blick auch sein mag, das lebensnotwendige Uferlose existiert nicht. Sie schauen immer auf irgendetwas, die Österreicher. Das kann man wortwörtlich auffassen, aber auch im übertragenen Sinn. Einen massiven Berg in den Alpen denkt man sich nicht so einfach weg. Und wenn sie dann schon einmal ganz oben auf dem Gipfel stehen, sehen sie nur Täler. In erster Linie Täler. Für Luft müssen sie immer nach oben blicken. Wissen Sie, was das mit einem Menschen macht? Nicht waagrecht ins Unendliche blicken zu können? Dann läuft man ständig mit der Nase zum Himmel gerichtet herum. Es gibt geringere Gründe, in Therapie oder in die Kirche zu gehen.

Ich bin mir sicher, dass einem Tiroler, würde er an der französischen Riviera oder am Atlantik wohnen, das schmerzhafte Jodeln innerhalb eines Tages vergehen würde. Es gibt nichts mehr, zu dem oder gegen das man jodeln könnte, es gibt kein Echo mehr. Mit seinem eigenen Echo leben zu müssen, Tag ein, Tag aus, das hat doch etwas Beängstigendes!

Da sie nicht ihren ‚Blick auf unendlich‘ stellen können, stellen sie also ihren Verstand auf null. Denn wer will noch über etwas nachdenken, wenn es dafür keinen Raum gibt? Ich wünsche den Österreichern ein richtiges Meer mit hohen Wellen und viel Wind. Hin und wieder muss man einfach mal Frischluft schnappen, das Gehirn lüften und die Welt mit einem frischen Blick betrachten…

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Morgen wissen wir mehr…

Ich kannte Harry nicht. Und er kannte mich nicht. Er lag auf dem Gehsteig meiner Straße, bleich, nein, eher grau, und verstört, er sprach nicht und sein Kopf blutete.

Ich hatte einen schönen Nachmittag gehabt, hatte Freunde mit einer tollen Idee für einen neuen Film getroffen, das Wetter war mild und die Begeisterung über das Projekt so aufwühlend wie das Glas Wein, das wir darauf tranken. Zu Hause warteten die Kinder auf ihr Abendessen, ich spazierte glückselig um die Straßenecke und stolperte sozusagen über Harry.

Eine Nachbarin, die mit ihrem Enkelkind im Buggy unterwegs nach Hause war, versuchte, mit Harry zu sprechen. Ich bat sie, die Rettung zu rufen. Harry murmelte, dass er nur noch ins Bett wolle. Dass das Krankenhaus keine Lösung sei. Er würde stundenlang vergessen werden und schließlich wieder mit dem Taxi nach Hause fahren müssen. Harry hatte Erfahrung. Er hielt sich halb im Liegen krampfhaft am Türgriff eines alten Autos fest, um nicht hinzufallen. Er musste circa siebzig sein und war schweißnass. Wir holten ein Glas Wasser, das er in einem Zug austrank. Ich stellte mich hinter ihn, damit er sich mit seinem Rücken an meine Beine lehnen konnte. Er sagte, es wäre nicht unangenehm. Kein Wiener würde je sagen, dass etwas angenehm sei. Ich sprach mit ihm. Ich erklärte ihm, dass ich nicht aus Ungarn käme, als er mich ansah und meinen Akzent einzuordnen versuchte, sondern aus Belgien.

Und duzt sich in Belgien jeder? Ich antwortete, dass wir es mit der Höflichkeitsform etwas weniger genau nehmen, weil es uns um die Menschen geht, dass wir den Weg etwas kürzer machen, um einander zu erreichen und zu verstehen. Sicherlich in einer Situation wie dieser.

Er wandte sich ab. Ich sah, wie seine Augen nach oben rollten und sein Körper an meinen Beinen schwach wurde. Ich hockte mich nieder und drückte ihn nach vorne, setzte mich hinter ihm auf den Gehsteig, er saß zwischen meinen Beinen und lag in meinen Armen. Ich sprach mit ihm, ich machte Witze und stellte ihm Fragen. Ob er alleine wohne? Dass es drei Belgier bräuchte, um ihn nach oben zu tragen. Dass kein Flame jemals einen Österreicher drei Stockwerke nach oben tragen würde, auch wenn er darum gebeten würde.

Er war einmal in Brüssel gewesen. Er kam langsam zu Bewusstsein, als er das sagte. Brüssel hatte er teuer gefunden, aber mich fand er nett. Er hatte bereits zwei Herzoperationen hinter sich und litt an Diabetes. Er ergriff meine Hand und drückte sie an seine Wange. Bring mich nach oben, bring mich ins Bett. Er glitt wieder weg. Ich konnte ihn kaum in den Armen halten.

Ich roch keinen Alkohol, ich sah nur einen alten Mann, der alleine war, zusammengesunken auf dem Gehsteig. Er wohnte alleine, seine Frau war vorigen Monat gestorben. Er wohnt neben mir, eine halbe Straße weiter, und ich kenne Harry nicht.

Ob ich bei ihm bleiben wolle und ihn ins Bett bringen könne? Seine Lippen waren grau, seine Haut wurde immer fahler. Ich sprach über unsere Straße, die Menschen, das Leben, ich versuchte, locker zu sein und meine Angst zu verbergen, fünfundzwanzig Minuten sind lange für jemanden, der auf Hilfe wartet. Andere Menschen würden beten, ich summte und hoffte. Dass die Rettung schnell kommen und ihn versorgen würde, so wie es sich gehört. Er küsste meine Hand und fragte noch einmal, ob ich ihn in sein Bett bringen könne. Ich versuchte, ihn hochzuziehen, aber ich wusste, dass ich keine Chance hatte. Ich flüsterte in sein Ohr, dass alles wieder gut werden würde. Er erschlaffte wieder. Ich wünschte mir, dass er sich einfach entspannte, ich konnte sein Gesicht nicht sehen.

Der Arzt kam mit drei Sanitätern, einer Tragbahre und einem Defibrillator. Ich half ihnen, Harry auf die Bahre zu legen, und sagte ihm noch, dass alles in Ordnung sei. Er ließ meine Hand nicht los, und ich werde seinen Blick niemals vergessen. Er spürte die Routine, er wusste, dass er ausgeliefert war und nicht mehr zurück konnte. Der Arzt bedankte sich bei mir, wie man sich bei jemandem bedankt, der den Weg frei macht, um einen vorbeizulassen. Keine Frage, kein Wort, keine Emotion. Mein eigener Vater starb, als ich neunzehn war. Ich war nicht bei ihm, er lang nicht in meinen Armen.

Ich hätte Harry einfach ins Bett tragen und bei ihm bleiben sollen. Ich hätte ihm ersparen müssen, was ihn erwartete, seine Hand nehmen müssen, sprechen, Witze machen, vielleicht sogar singen oder summen, einfach bei ihm sein.

Ich warte auf Nachricht und gehe nicht schlafen. Denn ich kenne Harry jetzt, und er kennt mich.

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Die Gegenfrage

Ich bin auf der Suche nach einer Erklärung für ein Phänomen, das ich hier bei Freunden festgestellt habe. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht typisch österreichisch ist. Sie helfen mir sicher dabei, das herauszufinden.

Angenommen, Sie kochen Spaghetti. Die Sauce dürfen Sie selbst aussuchen, sie ist für diese Geschichte irrelevant. Sie stehen am Herd und sinnieren über dem kochenden Wasser, rühren ab und zu die Nudeln um, als plötzlich Ihre Partnerin oder Ihr Partner hereinkommt. Sie sagen, dass Sie kurz noch etwas anderes tun müssen, und fragen, ob er/sie auf die Spaghetti achtgeben könnte. Kommt die Frage: „Wie lange sind die Nudeln schon im Wasser?“

Hätten Sie nicht – so wie ich – die Frage erwartet: „In wie viel Minuten müssen die Nudeln abgeseiht werden?“ Oder: „Wann sind die Spaghetti fertig?“

Jemand, der erstere Frage stellt, muss noch schnell rechnen. Der zweite Typ von Antwort erfordert nur einen Blick auf die Uhr, und schon ist alles klar.

Dieses Beispiel ist natürlich nur ein Fingerzeig, das werden Sie verstanden haben. Ich gebe noch eines. Die Frau des Arztes ruft ihren Mann an und fragt, wann er zum Essen kommt. Der Arzt antwortet, dass er seinen letzten Patienten um halb sieben hat. Echte Kommunikation kann man dieses kurze Gespräch nicht nennen. Hätte die Frau gefragt, wann er seinen letzten Patienten hat, hätte er sicher geantwortet: „Warum?“ Es gibt Menschen, die ihre Fragen oder auch Antworten so formulieren, dass darauf eindeutig noch eine Frage folgen muss.

„Bist du heute Abend zu Hause?“ Ich antworte dann immer mit einer Gegenfrage: „Warum?“ Welche Relevanz hat es, ob ich heute Abend zu Hause bleibe? Das möchte ich doch gerne wissen? Es geht auch anders: „Solltest du heute Abend zu Hause sein, würde ich mit einer Freundin etwas trinken gehen.“ Bitte schön, klar und deutlich, kein Missverständnis möglich.

„Warst du schon im Supermarkt?“ Da versteckt sich doch noch eine andere Frage dahinter oder spüren Sie das nicht? „Solltest du noch nicht im Supermarkt gewesen sein, kannst du dann Windeln mitbringen?“ Die Frage ist nicht, ob jemand schon im Supermarkt war, sondern Windeln sind das Thema.

Warum interessieren sich manche Menschen – wie in meinem Spaghetti-Beispiel – für die Minuten, die schon vorbei sind, und nicht für die Minuten, die noch kommen werden? Warum nimmt der Arzt an, dass seine Frau selbst ausrechnen wird, wann er zu Hause sein wird, wenn sein letzter Patient um halb sieben kommt?

Ich habe einen kleinen Test gemacht. Ich habe meine ‚Kandidaten‘ mit geschlossenen Augen von 0 bis 60 Sekunden zählen lassen. Jene Personen, die ihre Fragen erfahrungsgemäß so formulierten, dass nur eine einzige Antwort notwendig war, ohne rechnen oder nachdenken zu müssen, zählten immer zu schnell. Die anderen brauchten immer viel länger als eine Minute, bevor sie meinten, fertig zu sein. Irgendwo geht Zeit verloren und werden überflüssige Fragen gestellt.

Ich bin mir sicher, dass Sie inzwischen bereits wissen, zu welcher Kategorie Sie gehören. Sie brauchen nur versuchen, mit geschlossenen Augen 60 Sekunden abzuzählen.

Ich muss das auf jeden Fall nächstes Mal auch in Gent austesten, oder Sie in Athen, Denpasar, Oslo, Paris…

 

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Vaterschaft beginnt in Österreich ein Jahr nach der Geburt des Kindes…

Ich fliege demnächst mit meiner fast fünfjährigen Wiener Tochter wieder einmal nach Belgien. Der ausdrückliche Wunsch kommt von ihr. Nicht schlecht für eine Fünfjährige… „Papa, wir müssen unbedingt wieder einmal nach Belgien.“ Okay, denke ich mir, das kostet mich einen Haufen Geld, und da meine ich noch nicht einmal alles, was wir für den belgischen Teil der Familie aus Wien mitnehmen wollen, sondern vor allem das, was wir aus Gent zurück nach Hause schleppen wollen. Eine Flasche Duvel kostet in diesem einen Laden in Wien, der sie im Regal stehen hat, schon leicht einmal sechs Euro. Aber gut, Kontakt mit dem Heimatland ist wichtig, körperliche Anwesenheit noch mehr.

Als meine Tochter geboren wurde, haben wir von der gesetzlichen Freiheit in Österreich Gebrauch gemacht, ihr den Familiennamen ihrer Mutter zu geben. Der ist nämlich kürzer, klingt österreichischer als ‚Verschueren‘ und für mich war es ein ausdrückliches Zeichen der Emanzipation, bei dieser Geschichte mitzumachen. Denn ein Leben lang deinen flämischen Namen in Österreich buchstabieren zu müssen, ist etwas, das – wenn möglich – vermieden werden muss. Ich musste mich zwar erst daran gewöhnen und zweimal schlucken, auch der Stammbaum sieht etwas anders aus, aber auch damit lernt ein Flame leben. Für mich trägt sie meinen Namen, auch wenn das offiziell nicht so ist, ich denke darüber eigentlich nicht mehr so oft nach.

Da meine Tochter die doppelte Staatsbürgerschaft hat, habe ich am Tag nach ihrer Geburt bei unserer Botschaft in Wien für sie einen belgischen Reisepass beantragt. Freundliche Leute sind das, das muss einmal gesagt sein. Dazu gehört dann ein Foto (von einem unerkennbaren schlafenden Baby), und das Dokument ist teuer, aber fünf Jahre gültig (kein Mensch würde sie nach ein paar Wochen darauf noch erkennen), also alles in Ordnung. Sollte man meinen.

Check-in in Wien Schwechat International Airport, SkyEurope, Grundpreis für den Flug okay, aber mit Steuern und Versicherung, Gepäckzuschlag, Buggy und Sitzplatzwahl letztendlich auch nicht zum Lachen und schon gar nicht berauschend.

Meine Tochter steht mit erworbenem flämischem Stolz und angeborener österreichischer Sturheit am Check-in-Schalter und legt ihren bordeauxroten Pass und die Online-Reservierung vor, sie will es so, also lassen wir es geschehen.

„Ist das dein Papa?“

Sie sieht mich verzweifelt an, ich sehe sie zögern, obwohl wir das oft genug geübt haben. „Ja“, sagt sie etwas zu langsam für den Geschmack der jungen Dame hinter dem Schalter.

„Und Sie können das beweisen, nehme ich an?“ Sie blickt mir streng in die Augen.

Ich fühle mich plötzlich als Entführer meiner eigenen Tochter. Schlagzeilen und Verfolgungsjagden, Fingerabdrücke und DNA-Tests, ich sehe es, als ob ich es selbst geplant hätte. Ich habe Verständnis dafür, das ist es nicht, es laufen schließlich tatsächlich jede Menge dubiose Menschen herum. Aber ich?

Er war kurz, aber er war da. Dieser typische Robert de Niro-Blick mit ausgebreiteten Armen, so à la: „Wie können Sie daran zweifeln?“ Kurz, aber lange genug, dass die Dame am Check-in nach meinem Vaterschaftsnachweis fragte. Als ich auf meine Tochter zeigte, stellte sich das als unzureichender Beweis für die Angestellte heraus. Dann war da wieder dieser entwaffnende Robert de Niro-Blick, „Wie können Sie daran zweifeln?“, aber sie hielt sich hartnäckig an das vorgeschriebene Verfahren.

Und dann fand ich ihn, den achtmal gefalteten Vaterschaftsnachweis mit allen Stempeln und Unterschriften, die so ein Dokument anscheinend braucht, hinten in meinem Reisepass, und er stellte die Dame von SkyEurope sofort zufrieden. Wir durften problemlos weiter, Bordkarte in der Hand.

Was sie sicher nicht gelesen hat, war der kleine Text unten auf dem Dokument. Ich hätte es bei der Anzeige der Geburt meiner Tochter am Standesamt auch beinahe übersehen. Im Feld, in dem die liebe Mutter meiner Tochter unterschreiben und bestätigen musste, dass ich der Vater bin, steht in einigen wenigen Sätzen, dass sie ein Jahr Zeit hat, das Dokument zu widerrufen.

Die Mutter darf die Vaterschaft widerrufen. Der Vater nicht! Emanzipation hat ihren Preis.

Ein Jahr Zeit hat der österreichische Staat ihr gegeben, zu erklären, dass sie daran zweifelt oder felsenfest davon überzeugt ist, dass der angegebene Vater auch tatsächlich der Vater ist.

Es gibt kein Feld für mich. Ich kann nicht zurück zum Standesamt gehen und sagen: „Ich bin nicht der Vater“, denn diese Möglichkeit existiert nicht. Die Mutter weiß doch besser als jeder andere, mit wem sie sich rund um das Datum der Empfängnis vergnügt hat… also… Väter müssen warten. Ein ganzes Jahr lang. Ein sehr langes Jahr.

Wenn wir wieder zurück in Wien sind, gehe ich sofort zur Botschaft. Ich muss so schnell wie möglich meine beiden Kinder in meinen Reisepass eintragen lassen. Mit Vaterschaftsnachweis natürlich, sonst wirkt man als Vater von Kindern, die den Namen ihrer Mutter tragen, in Österreich etwas dämlich. Ich habe inzwischen auch bereits eine Antwort von der Botschaft auf meine Frage, wann ich vorbeikommen kann, erhalten. Ich kann jederzeit kommen, aber nicht, um meine Kinder in den Reisepass eintragen zu lassen, weil das nicht möglich ist. Ich lebe nach Ansicht des rechtskatholischen Österreichs schließlich in Sünde (zusammen mit einer Frau, aber unverheiratet). Wie meine Kinder bezeichnet werden, will ich gar nicht wissen. Sie tragen den Familiennamen ihrer Mutter, nach dem österreichischen Gesetz muss ich mich mein ganzes Leben lang jedes Mal aufs Neue als Vater meiner Kinder legitimieren, mit einem Stückchen Papier, bei dem inzwischen zumindest glücklicherweise die Frist für die Widerrufung der Vaterschaft abgelaufen ist. Die liebe Mutter meiner Kinder schrieb in das Feld: „Er ist der Vater und aus!!!“

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Maria, Titus und Europa

Das Kaffeehaus am Wiener Naschmarkt ist bis auf ein paar Marktstandler leer. Hermann sitzt in seiner Ecke und liest mit einer Lupe die Zeitung, ein Slowene schreit zu lange und zu laut etwas Unverständliches in sein Telefon und wird vom Ober diskret zurechtgewiesen. Er schreit weiter, hält nun aber seine Hand vor den Mund.

Ich bestelle meinen Cappuccino, eine Buttersemmel und ein weiches Ei im Glas und lese die erste Zeitung des Tages. Der Standard. So rosa wie die Financial Times und De Tijd, aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Es ist früh und das regnerische Wetter hält die Menschen zu Hause. Das Café wird sich erst später füllen, noch ist es ruhig.

Maria kommt durch die schwere Glastür herein, Spazierstock in der einen, Leine in der anderen Hand. Das macht sie schon seit dreißig Jahren, seit ihr Mann starb, jeden Tag zur selben Zeit. Überleben durch Routine und anonyme, aber lebensnotwendige Gesellschaft. Wer nicht alleine bleibt, lebt länger. Maria und ihr Hund.

Heute läuft ihr Kläffer nicht neben ihr her, sie schleift ihn unachtsam hinter sich ins Café, wie ein kleines Kind, das erst gehen gelernt hat und einen Nachziehhund an einem Band hinter sich her zieht. Wir nennen ihn ‚Kläffer‘, obwohl er Titus heißt. Heute zeigt Titus wenig Regung, die Leichenstarre muss schon länger eingetreten sein. Er fällt mich heute nicht an, er versucht nicht, in meine Stiefeletten zu beißen, bis ich ihm einen kleinen Klaps aufs Maul gebe. Kein Wiener, der Maria darauf aufmerksam machen würde.

Sie schiebt sich mühsam hinter ihren höchstpersönlichen kleinen, runden Marmortisch, zieht den Hund ans gusseiserne Tischbein und bedankt sich beim Ober, der eine Schale Wasser bringt. Er schaut das Tier heute nicht an, kein kurzes Streicheln über die Ohren. „Wie üblich, Maria?“

„Danke, Nico“, antwortet Maria. Er geht an mir vorbei, und ich sehe, dass er es weiß.

So, wie Maria hier sitzt, könnte sie genauso tot sein wie ihr Titus. Zwei Stunden lang. Dann steht sie plötzlich wieder auf, legt drei Euro auf den Tisch, streift sich mühsam ihren Mantel über und schleift Titus aus dem Kaffeehaus. Der Hund braucht Frischluft. Maria auch. Heute wird Maria mehr davon haben als ihr Hund.

Als Nico mich bedient, sage ich beiläufig: „Dieses Tier wird nicht mehr viel trinken.“

„Alles die Schuld von Europa!“ sagt der Ober.

„Europa?“

„Mit allen ihren Richtlinien, sogar über Hundefutter haben sie etwas zu sagen, Sie sehen ja, wohin das führt. Ich sage Ihnen, Europa, diese überbezahlten Leute dort in Brüssel, ich sage Ihnen, Brüssel tötet nicht nur die Hunde.“

Es besteht (noch) keine Richtlinie über Hundefutter in der EU. Das habe ich recherchiert. Aber schon vom Gedanken, dass es so sein könnte, sterben nach Meinung von Nico Hunde in Wien. Ich bin ziemlich sicher, dass er im Juni nicht wählen gehen wird.

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